Barrierefreiheit und Inklusion in Museen

Die Autorin und Herausgeberin des MuseumsGuide inklusiv, Doris Rothauer, über die Bedeutung, Chancen und Herausforderungen eines inklusiven Museums sowie die unterschiedlichen Zugänge im Umgang mit dem Thema.

Das Recht auf Kunst und Kultur

Während der Corona-Pandemie haben wir alle durch die Schließung von Kulturinstitutionen erfahren, was uns fehlt, wenn wir Kunst und Kultur nicht genießen können, wenn wir keinen Zugang zu ihr haben: Wir spüren einen Mangel an Inspiration, an Kreativität, an Freude, Glück und Hoffnung. Wir werden ängstlich, unsicher, hoffnungslos und sogar depressiv.

Kunst und Kultur sind wesentliche Säulen der gesellschaftlichen Entwicklung und kulturelle Teilhabe ein grundlegender Bestandteil der menschlichen Erfahrung. Deswegen ist der Zugang zu Kunst und Kultur für alle Menschen so wichtig, deswegen darf niemand ausgeschlossen werden.

Dieser Grundsatz findet sich bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948: „Jeder Mensch hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich der Künste zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Wohltaten teilzuhaben.“

Dennoch wird in der Realität gerade Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe erschwert. Sie sind mit physischen Barrieren konfrontiert und erleben soziale, intellektuelle oder kommunikative Einschränkungen, die ihnen den Zugang zu Inhalten und Informationen erschweren.

Gleichzeitig hat sich in den letzten Jahren und verstärkt im Zuge der Erfahrungen rund um die Corona-Krise vieles zum Positiven verändert. Die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz von Kulturinstitutionen, und damit auch von Museen, die während der Corona-bedingten Schließung laut geworden ist, hat einen Reflexionsprozess nach sich gezogen. Themen wie Nachhaltigkeit, Diversität und Inklusion sind in den Fokus gerückt.

Gut zu wissen

Wovon reden wir nun aber genau? Was ist ein inklusives Museum?

Der uneingeschränkte und gleichberechtigte Zugang zu Kunst und Kultur wird mit den Begriffen „Barrierefreiheit“ und „Inklusion“ beschrieben.

Barrierefreiheit meint den weitgehenden Abbau oder die Vermeidung von Barrieren, sei es physisch, mental, sozial, interkulturell. Inklusion geht noch einen Schritt weiter und bedeutet Teilhabe für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Religion, Bildung oder individuellen Beeinträchtigungen.

Die gesetzlichen Grundlagen dafür wurden in Österreich mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2008 sowie mit dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz 2006 geschaffen, das nach einer 10-jährigen Übergangsfrist seit 2016 voll in Kraft ist.

Ein barrierefreies und inklusives Museum zu sein, betrifft viele Bereiche und Aufgaben der musealen Arbeit, von der baulichen Zugänglichkeit über die Ausstellungsgestaltung und dem Service-Angebot bis hin zur Kommunikation und Vermittlung.

Hinzu kommen die unterschiedlichen Bedürfnisse je nach Art der Einschränkung, die möglichst miteinander verbunden und verschränkt bedacht werden sollten.

  • Für mobilitätsbeeinträchtigte Personen etwa geht es um barrierefreie Zugänge mittels Rampen und Lifte, entsprechenden Durchgangsbreiten und Griffhöhen, glatte Unterböden, Unterfahrbarkeit von Pulten und Vitrinen, Behindertenparkplätze und Behinderten-WCs.
  • Hörbeeinträchtigte Personen brauchen eine visuelle Umsetzung von Informationen, zum Beispiel in Gebärdensprache, oder auch induktive Höranlagen.
  • Für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen sollten Orientierungshilfen vorgesehen werden, die mit starken Kontrasten und taktilen Hilfsmitteln arbeiten, sowie andere Formen der Beschreibung und Vermittlung, die nicht nur Fakten, sondern auch Stimmungen miteinbeziehen.
  • Bei intellektuellen Barrieren und Lernbeeinträchtigungen helfen Informationen und Texte in sogenannter Leichter Sprache, also kurz und einfach, ohne zusammengesetzte Hauptwörter und ohne Fremdwörter.   

Herausforderungen und Chancen

Zur Umsetzung der unterschiedlichen inklusiven Maßnahmen und Angebote braucht es Ressourcen und Expertisen, die nicht selbstverständlich vorhanden sind und oft nur schrittweise geschaffen werden können. Viele Museen konzentrieren sich daher zunächst auf eine Bedarfsgruppe, und bauen dort ihre Expertise und ihre Angebote aus.

Und, wenn inklusive Ansätze und die Barrierefreiheit konsequent bei allen Aktivitäten von Anfang an mitgedacht und mitgeplant werden, müssen sie nicht zwingend teurer oder schwierig sein.

Ein ganzheitlicher Zugang bedeutet freilich, dass Inklusion als Wert und Haltung unter allen Mitarbeiter:innen mitgetragen und verinnerlicht ist. Viele Behindertenverbände und Sozialeinrichtungen bieten Sensibilisierungs-Trainings ebenso wie Kompetenzschulungen an, die das Verständnis im Umgang mit Menschen mit Behinderungen schaffen und methodische oder fachliche Kompetenz vermitteln. So können die spezifischen Bedürfnisse der Zielgruppen besser verstanden und erfasst werden. Kooperationen dienen aber auch dazu, gemeinsam maßgeschneiderte Angebote sowie innovative neue Formate zu entwickeln. Die Volkshilfe Österreich, die Caritas, die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs sind nur einige der Institutionen, die regelmäßig mit Museen arbeiten.

Der partizipative Ansatz und der Weg über Kooperationen ermöglicht nicht nur inklusive Angebote zu entwickeln, sondern folgt auch einer Grundprämisse von Menschen mit Behinderungen: Nichts über uns ohne uns.  Menschen mit Behinderungen wollen einbezogen werden, Selbstbestimmung ist ein wesentliches Element ihres Selbstverständnisses.

Noch einen Schritt weiter gehen Vermittlungsangebote, die nicht nur für sondern auch von Menschen mit Behinderungen angeboten werden. Das heißt zum Beispiel Menschen mit Behinderungen als Kunstvermittler:innen einzusetzen, und ihnen so eine neue Rolle zukommen zu lassen. Erfahrungen in Deutschland haben dabei interessanterweise gezeigt, dass diese Angebote besonders gerne von Menschen ohne Behinderung angenommen werden. Denn die Art und Weise, wie ihr Zugang zur Kunst ist, schafft neue Perspektiven, nicht zuletzt weil die Vermittlung weniger faktenorientiert ist, sondern Raum für Emotionen zulässt.

Ein ähnlicher Zugang steht hinter zielgruppenspezifischen Führungen und Angeboten, die sich an „Menschen mit und ohne Behinderungen“ wenden. Inklusive Angebote also, die nicht exklusiv sind. Das sollte das Grundverständnis eines inklusiven Museums sein.

Selbstbestimmter Kunstgenuss durch neue Technologien

Eine Reihe technologischer Hilfsmittel unterstützt bei der inklusiven Vermittlungsarbeit und ermöglicht einen selbstbestimmten Zugang zu Kunst und Kultur, unabhängig von der Vermittlung durch geschultes Personal.

So sind etwa handwerklich gefertigte Tastreliefs schon lange im Einsatz, die Ausstellungsobjekte zum Anfassen nachbilden. Federführend in der Entwicklung neuester, computergenerierter Reliefs ist eine österreichische Forschungseinrichtung, das VRVis Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung.

Der Computer ermöglicht gegenüber handwerklichen Reliefs eine exakte Wiedergabe und reproduzierbare Ergebnisse. Bei Gemälden, einer besonderen Herausforderung, wird die Bildinformation in einen dreidimensionalen Abdruck übersetzt, der alle Ebenen der Tiefenwahrnehmung, wie sie das Gehirn beim Sehen erzeugt, erfühlbar macht. Ursprünglich für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen konzipiert, können vom taktilen Erfassen alle Besucher:innen profitieren, insbesondere auch Kinder oder Personen mit kognitiven Einschränkungen.

Die Digitalisierung unterstützt mittlerweile eine Vielzahl an technologischen Hilfsmitteln, wie etwa Apps oder interaktive Multimedia-Guides, die unterschiedlichste Bedürfnisse berücksichtigen. Die Bandbreite an Informationskanälen und Wahrnehmungsmöglichkeiten ist groß: Audio-Touren und Beschreibungen, Darstellungen als Geräusche, Beschreibungen in Gebärdensprache und in Leichter Sprache, Hintergrundinformationen und vieles mehr.